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Über kämpfende Geister und große Meister
Liebe Schachfreunde,
bereits in bester WM-Stimmung fuhren wir zum ersten Auswärtsspiel der Saison nach Siegburg, um den beiden Kontrahenten um den Titel einen Eindruck davon zu geben, wie in Bonn üblicherweise Schach gespielt wird. Auch wenn die Qualität der Partien im Vergleich zum Match der kommenden Wochen möglicherweise noch ein wenig zu wünschen übrig ließ, so hätten sich Kramnik & co vom vorherrschenden Kampfgeist doch gerne ein Stückchen mitnehmen können. Zumindest stehen die Wettquoten für nur ein Remis aus 8 Partien sicherlich recht gut. Wer der Leidtragende bei uns war, werden Sie weiter unten erfahren, nur soviel sei schon verraten, auch der Mannschaftskampf endete nicht mit einem Unentschieden …
Wenn auch das Ausbleiben der beiden Weltmeisterschaftsanwärter, wenn auch bedauerlich, nicht sehr überraschend war, so doch die Anwesenheit eines anderen Großmeisters, Vladislav Borovikov, in den Siegburger Reihen. Durchaus auch bedauerlich. In der Verbandsliga, fragen Sie? Man wird doch noch Ambitionen haben dürfen …
Auch an den übrigen Brettern waren die Gastgeber fast mit ihrer Topbesetzung aufgelaufen, wir dagegen hatten dennoch darauf verzichtet unsere Spitzenspielerin aus Schottland einzufliegen, und auch Bernd Gemein, nominell an 2, pausierte.
Denn was zählt, ist auf dem Brett. Bisher musste unser heutiges erstes, Philipp Bongartz, wenn er denn einmal einen Großmeister vor der Flinte hatte, immer mit den schwarzen Steinen vorlieb nehmen, diesmal hatte er Weiß. Das musste doch das Ende der Verlustserie bedeuten! Munter drauf los ging es in einem Najdorf-Sizilianer. Dass Philipp sich nicht verstecken würde, war offensichtlich. Mit 10. g4 startete er einen Angriff am Königsflügel, Borovikov reagierte mit einem Gegenschlag im Zentrum, 10. … d5, und nach den folgenden Abtäuschen fand sich Weiß in einem Endspiel wieder, in dem ein schwarzer Turm bereits den Weg auf die 7. Reihe gefunden hatte. Das konnte ja heiter werden …
An Brett 2 sah es ein wenig erfreulicher aus. Meine Wenigkeit hatte sich in einem geschlossenen Sizilianer am Damenflügel entfaltet, während Weiß seinen König in seinem mit h2-h3 und g2-g4 leicht geschwächten Königsflügel in Sicherheit brachte. Ich stand nun vor der Wahl, auf die Rochade zu verzichten und mit h5 einen Königsangriff vom Zaun zu brechen oder zu rochieren. Allerdings begann sich mein miserables Zeitmanagement bereits jetzt, nach 12 Zügen, bemerkbar zu machen.
Oleg Leontiev hatte an 3 den üblichen Raumvorteil in einem Benoni, den er auch nach einigen Abtäuschen behielt. Die Partie steuerte auf ein Endspiel hin, in dem Weiß die leicht besseren Karten haben sollte.
Am Nachbarbrett sicherte sich Gerd Moos in einer Damenbauerneröffnung zunächst das Läuferpaar, dann nahm er ein Bauernopfer des Gegners dankend an und hielt den Mehrbauern ohne Probleme. Unter Rückgabe des Läuferpaars wickelte er in ein Endspiel mit einem Freibauern auf der b-Linie ab, das gute Aussichten auf den vollen Punkt bot.
Damir Zupcevics Gegner spielte ebenfalls eine Benoni-Verteidigung, auf die Weiß aggressiv mit dem Vierbauernangriff reagierte. Bald gesellte sich auch noch der g-Bauer hinzu, und obwohl die Damen bereits vom Brett verschwunden waren, sah der weiße Aufmarsch am Königsflügel sehr bedrohlich aus. Die schwarzen Figuren hatten langsam Schwierigkeiten, überhaupt Felder zu finden.
Kommen wir zu Edgar Schmitz an 6. Sein Gegner hatte in einer Wiener Partie die Eröffnung nicht besonders aktiv behandelt und nachdem Schwarz ausgeglichen hatte, begann er damit, nach Wegen zu suchen einen Königsangriff heraufzubeschwören. Und Edgar wäre nicht Edgar, wenn er das nicht irgendwie geschafft hätte. Auch hier sah es bald recht erfreulich für uns aus.
Lust, sich den Trends in den Eröffnungen anzupassen, hatten unsere Gegner augenscheinlich nicht. Jan Kopp hatte das zweifelhafte Vergnügen, sich mit einem Budapester Gambit auseinander setzen zu dürfen. In weiser Voraussicht gab er den geopferten Bauern zurück, dennoch erhielt Schwarz die bessere Stellung. Der mehr oder weniger erzwungene Zug g3 schwächte die weißen Felder um den König und machte den schwarzen Läufer auf b7 zu einem wahren Monster. Statt nun den angegriffenen Läufer auf h4 zurückzuziehen, entschloss sich Schwarz zu Df6, um nach f2-f4 den Läufer auf g3 zu opfern. Die eindringenden gegnerischen Figuren ließen dem weißen Monarchen nur eine Wahl: Flucht!
Ein Brett weiter allerdings war die Stellung leider alles andere als unklar. Christof Kögler hatte gegen den sizilianischen Grand-Prix-Angriff nicht den besten Aufbau gefunden und sah sich alsbald einer mächtigen weißen Offensive gegenüber. Schon war ein Bauer weg, dafür der Ansturm ein wenig gebremst. Sicherlich war die schwarze Stellung nach dem ein oder anderen Zug eine verlorene, aber Christof verteidigte sich zäh und einige Zeit später stand er nicht nur positionell wieder auf beiden Beinen, sondern hatte auch den Bauern zurückgewonnen. Schließlich noch ein taktischer Trick und so hieß es am Ende überraschend 0:1.
Jan war derweil mit seinem König bis nach d2 marschiert, wo er zunächst vor Schachs relativ geschützt war. Mit einer Figur für 2 Bauern war er materiell im Vorteil, aber noch wichtiger, das Fehlen der abgegrasten weißen Königsflügelbauern sicherte Weiß ausgezeichnete Angriffschancen. Gegen den kombinierten Angriff von Lb2 und Tg1 war Schwarz praktisch jetzt schon machtlos. Nachdem Bauer g7 gefallen war, war auch die Partie vorbei, wenngleich Jans Gegner ihm noch Gelegenheit gab, ein paar Züge für die Galerie auszuführen.
Fast zeitgleich führte auch Edgar seinen Angriff überzeugend zum Sieg. 3:0! Es sah gut aus.
Noch besser, wären da nicht die ersten beiden Bretter. Philipp hatte einen Bauern verloren und der schwarze e-Bauer näherte sich unaufhaltsam seinem Umwandlungsfeld. Wir sind sehr gespannt, mit welchem Score das Siegburger Brett 1 aus dieser Saison gehen wird.
Ich hatte mich schließlich entschieden, kurz zu rochieren, und war prompt in einen heftigen Angriff geraten, der mich zwar nicht unmittelbar in materiellen Nachteil brachte, doch Zeit kostete. Mit 2 Minuten auf der Uhr entschloss ich mich zu einem Alles-oder-nichts-Figurenopfer, das Weiß schnell mit einer doppelten Familiengabel widerlegte. 3:2.
Mit einem ungenauen Zug hatte Gerd seinen Vorteil samt Bauer wieder eingebüßt, unsere Befürchtungen, dass Weiß Gewinnchancen erhalten könnte, erwiesen sich aber als unbegründet. Gerd konnte die Partie im Remissinne beenden und sicherte uns so Quotenremis und ausgezeichnete Aussichten auf den Mannschaftssieg, denn die beiden verbleibenden Bretter waren für uns kaum zu verlieren. 3,5:2,5.
Oleg hatte in ein Endspiel abgewickelt, in dem beide Seiten je einen Springer, einen Läufer und 5 Bauern besaßen, der schwarze Bauer auf b4 jedoch schwach war und bald abgeholt wurde. Mit Springer gegen Läufer knetete er dann ein Mehrbauernendspiel über weitere 30 Züge. Wenn es für den unbedarften Beobachter auch so ausgesehen haben mag, als ob der weiße Springer einfach jedes mögliche Feld einmal besucht haben wollte, manche auch mehrfach, so war für den geduldigen Betrachter doch nicht zu verkennen, dass Weiß Fortschritte machte, und demnach war das ganze wohl eine Demonstration tiefen positionellen Verständnisses. Auf jeden Fall eine Augenweide und nach über 70 Zügen war auch endlich ein Mehrbauer entstanden, der Weiß den Sieg (gegen einen 250 Punkte stärkeren Gegner!) versprach. 4,5:2,5! Das Ding war gelaufen.
Eine weitere wunderschöne Stellung (zumindest für eine Seite) war nach der aus unserer Sicht knapp überstandenen Zeitnot an Damirs Brett entstanden. Weiße Bauern waren bis nach f6 und g5 vorgerückt, dazu ein blockierter rückständiger Bauer auf d6 und ein aktiver weißer König auf g4. Wenn man sich nun noch einen schwarzen Läufer auf f8 und einen schwarzen Springer auf h5 vorstellt, wird die allgemeine Einschätzung, dass Damir »mit zwei Figuren mehr spielt«, verständlich. Während uns nicht ganz klar war, warum er nicht den klar auf der Hand liegenden einfachsten und sowieso besten Gewinnweg wählte, nur um hinterher festzustellen, dass unsere Vorschläge alle verschieden waren, schob er seinen Gegner langsam zusammen.
Ein 5,5:2,5 also, ein Ergebnis, das definitiv unsere Erwartungen übertroffen hat. Gerade gegen die gefährlichen Siegburger, die mit ihren 3 Spitzenbrettern jede Mannschaft schlagen können, ein wichtiger Sieg.
Schon in 2 Wochen, am 26. Oktober, geht es mit einem Heimspiel gegen Niederkassel weiter. Für alle Schachbegeisterten eine Möglichkeit, sich von den anstrengenden WM-Partien zu erholen und frisch-fröhliches Angriffsschach ohne tiefgründige positionelle Erwägungen (ja, Oleg wird leider fehlen) in angenehmer Atmosphäre mitzuerleben.
Ein Bericht von
Sebastian Brandt
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zuletzt geändert am 13. Oktober 2008 |